Es stöhnen die Schweizer Industrie und der Detailhandel gemeinsam über die böse Eurozone. Die einen wegen der hohen Importpreise, die anderen wegen des Einkaufstourismus und beide gemeinsam, weil Frau und Herr Schweizer nun einmal nicht einsehen wollen, warum dieselbe Ware jenseits der Grenze nur noch die Hälfte kostet und sie trotzdem die heimisiche Wirtschaft unterstützen sollen. Kaum ein Tag vergeht, in dem das Thema nicht in den Medien oder im Bekanntenkreis thematisiert wird.
Und dann verbringen Herr K. und Cocolina ein Wochenende in einer Kleinstadt im schönen Thurgau, dem Apfelkanton, liebevoll-spöttisch auch „Mostindien“ genannt. Während der Herr K. den großen Braunen stil- und zielsicher über gewundene Landsträsschen manövriert, ergötzt sich Cocolina an dieser perfekten Miniaturschweiz, die nicht nur entfernt an eine Modelleisenbahn-Landschaft erinnert.
Auch in dem kleinstädtischen Hotel, wo sich die beiden einquartiert haben, scheint die Zeit stehen geblieben. Reservationscomputer? Fehlanzeige – die Chefin holt ein Buch (jawohl, so was mit Papier drin), unter der Theke hervor. Unter der Gasthaus-Theke, wohlgemerkt, nix da mit „Reception“. Für die durchwegs männlichen Stammgäste, die an besagter Theke rauchender weise ihr Bierchen trinken (ist ja auch schon kurz vor Mittag) sind Cocolina und Herr K. anscheinend eine willkommene Abwechslung und werden neugierig beäugt – vor allem Cocolina, wohl ab des unverkennbar österreichisch gefärbten Dialekts. Schlüsselkarte? Auch Fehlanzeige – wozu Karte, wenn ich einen Zimmerschlüssel will? Dafür wird mitgeteilt, dass nach Mitternacht der Zugang über die Hintertüre erfolgen soll. Und zwar nicht etwa mit Hilfe des besagten Schlüssels, sondern „diä Tür isch eh offä“. Aha – gut zu wissen. Herr K. erklärt daraufhin kategorisch, dass die Schlüssel des großen Braunen sowie Papiere in Cocolinas Handtasche mitzuführen seien – keinesfalls würden sie auf dem Zimmer gelassen!
Der absolute Flashback in die Kinder- und Jugendzeit von Cocolina und Herrn K. wird jedoch am nächsten Morgen serviert – wortwörtlich, denn da ist nix mit 08/15-Frühstücksbuffet. Hier wird noch alles von einer echten Kellnerin serviert, die sich überdies noch nach diversen Extra-Wünschen und Nachschlag erkundigt. Und auf jedem Tisch steht ein Frühstücks-Abfalls-Eimerchen in quietsch-orange von Ovomaltine – das gab es gefühlt zuletzt im Jahr 1979!!
Dazu werden serviert: Schweizer Gipfeli (sagen Sie niemals „Croissant“ zu dieser Butter-Kalorien-Bombe, sonst werden Sie auf Lebenszeit der Eidgenossenschaft verwiesen), Schweizer Orangensaft (nicht etwa ein Gläschen, sondern eine ganze Flasche), Schweizer Butter, Schweizer Honig und Schweizer Marmelade. Die Abstammung des Wursttellers und des Frühstückseis kann nicht eindeutig geklärt werden, da unverpackt, aber die Vermutung liegt nahe, dass auch hier Schweizer Schweine bzw. Hühner beteiligt waren.
Der Preis für die Übernachtung im Kleinstadt-Idyll ist dann auch wieder Schweizerisch fürstlich. Cocolina und Herr K. nehmen es gelassen – schliesslich haben sie nicht nur die lokale Schweizer Wirtschaft unterstützt, sondern bekamen dafür auch eine Zeitreise inklusive. Denn zumindest im Thurgau scheint die böse Euro-Zone noch nicht (ganz) angekommen zu sein. Jedenfalls nicht an diesem Wochenende.